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Auszug aus rowohlts enzyklopädie:

Platon

Sämtliche Werke

Band 2

Lysis, Symposium, Phaidon, Kleitophon, Politeia, Phaidros

Übersetzt von Friedrich Schleiermacher

Auf der Grundlage der Bearbeitung von Walter F. Otto, Ernesto Grassi und Gert Plamböck. Neu herausgegeben von Ursula Wolf.

[S. 60 ff.]

14. Aristophanes: Die ursprüngliche Natur des Menschen, Herkunft und Art seiner Geschlechter

Allerdings, habe also Aristophanes gesgt, habe ich im Sinn, ganz anders zu reden, als ihr beide, du und Pausanias gesprochen habt. Denn mir scheinen die Menschen durchaus der wahren Kraft des Eros nicht innegeworden zu sein. Denn wären sie es: so würden sie ihm die herrlichsten Heiligtümer und Altäre errichten und die größten Opfer bereiten, und es würde nicht wie jetzt gar nichts dergleichen für ihn geschehen, dem es doch ganz vorzüglich geschehen sollte. Denn er ist der menschenfreundlichste unter den Göttern, da er den Menschen Beistand und Arzt ist in demjenigen, aus dessen Heilung die größte Glückseeligkeit für das menschliche Geschlecht erwachsen würde. Ich will also versuchen, euch seine Kraft zu erklären, und ihr sollt dann die Lehrer der übrigen sein. Zuerst aber müßt ihr die menschliche Natur und deren Begegnisse recht kennenlernen. Nämlich unsere ehemalige Natur war nicht dieselbe wie jetzt, sondern eine ganz andere. Denn erstlich gab es drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei, männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden, dessen Name auch noch übrig ist, es selbst aber ist verschwunden. Mannweiblich nämlich war damals das eine, Gesatlt und Benennung zusammengesetzt aus jenen beiden, dem männlichen und weiblichen, jetzt aber ist es nur noch ein Name, der zum Schimpf gebraucht wird. Ferner war die ganze Gesatlt eines jeden Menschen rund, so daß Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebensoviel wie Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter, und vier Ohren, auch zweifache Schamteile, und alles übrige wie es sich hieraus ein jeder weiter ausdenken kann. Er ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite er wollte, sondern auch, wenn er schnell wohin strebte, so konnte er, wie die Radschlagenden jetzt noch, indem sie die Beine gerade im Kreise herumdrehen, das Rad schlagen, ebenso auf seine acht Gliedmaße gestützt sich sehr schnell im Kreise fortbewegen. Diese drei Geschlechter gab es aber deshalb, weil das männliche ursprünglich der Sonne Ausgeburt war und das weibliche der Erde, das an beiden teilhabende aber des Mondes, der ja auch selbst an beiden teilhat. Und kreisförmig waren sie selbst und ihr Gang, um ihren Erzeugern ähnlich zu sein. An Kraft und Stärke nun waren sie gewaltig und hatten auch große Gedanken, und was Homeros von Ephialtes und Otos sagt, das ist von ihnen zu verstehen, daß sie sich einen Zugang zum Himmel bahnen wollten, um die Götter anzugreifen.

15. Bestrafung des menschlichen Übermuts durch Zeus und Zustandekommen der jetzigen menschlichen Art

Zeus also und die anderen Götter ratschlagten, was sie ihnen tun sollten, und wußten nicht, was. Denn es war weder tunlich, sie zu töten und, wie die Giganten sie niederdonnernd, das ganze Geschlecht wegzuschaffen, denn so wären ihnen auch die Ehrenbezeugungen und die Opfer der Menschen mit weggeschafft worden, noch konnten sie sie weiter freveln lassen. Mit Mühe endlich hatte sich Zeus etwas ersonnen und sagte: Ich glaube nun ein Mittel zu haben, wie es noch weiter Menschen geben kann, und sie doch aufhören müssen mit ihrer Ausgelassenheit, wenn sie nämlich schwächer geworden sind. Denn jetzt, sprach er, will ich sie jeden in zwei Hälften schneiden, so werden sie schwächer sein und doch zugleich uns nützlicher, weil ihrer mehr geworden sind, und aufrecht sollen sie gehen auf zwei Beinen. Sollte ich aber merken, daß sie noch weiter freveln und nicht zur Ruhe halten wollen, so will ich sie, sprach er, noch einmal zerschneiden, und sie mögen dann auf einem Beine fortkommen wie Kreisel. Dies gesagt, zerschnitt er die Menschen in zwei Hälften, wie wenn man Früchte zerschneidet, um sie einzumachen, oder wenn sie Eier mit Haaren zerschneiden. Sobald er aber einen zerschnitten hatte befahl er dem Apollon, ihm das Gesicht und den halben Hals herumzudrehen nach dem Schnitte hin, damit der Mensch, seine Zerschnittenheit vor Augen habend, sittsamer würde, und das übrige befahl er ihm auch zu heilen. Dieser also drehte ihm das Gesicht herum, zog ihm die Haut von allen Seiten über das, was wir jetzt den Bauch nennen, herüber, und wie wenn man einen Beutel zusammenzieht, faßte er es in eine Mündung zusammen und band sie mitten auf dem Bauche ab, was wir jetzt den Nabel nennen. Die übrigen Runzeln glättete er meistenteils aus und fügte die Brust einpassend zusammen, mit einem solchen Werkzeug, wie womit die Schuster über den Leisten die Falten aus dem Leder ausglätten, und nur wenige ließ er stehen um den Bauch und Nabel, zum Denkzeichen des alten Unfalls. Nachdem nun die Gesatlt entzweigeschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner anderen Hälfte, und so kamen sie zusammen, umfaßten sich mit den Armen und schlangen sich ineinander, und über dem Begehren zusammenzuwachsen starben sie aus Hunger und sonstiger Fahrlässigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun wollten. War nun die eine Hälfte tot und die andere blieb übrig, so suchte sich die übriggebliebene eine andere und umschlang sie, mochte sie nun auf die Hälfte einer ehemaligen Frau treffen, was wir jetzt eine Frau nennen, oder auf die eines Mannes, und so kamen sie um. Da erbarmte sich Zeus und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihnen die Schamteile nach vorne verlegte, denn vorher trugen sie auch diese nach außen und erzeugten nicht eines in dem anderen, sondern in die Erde wie die Zikaden. Nun aber verlegt er sie ihnen nach vorne und bewirkte vermittels ihrer das Erzeugen ineinander, in dem Weiblichen durch das Männliche, deshalb, damit in der Umarmung, wenn der Mann eine Frau träfe, sie zugleich erzeugten und eine Nachkommenschaft entstände, wenn aber ein Mann den anderen, sie doch eine Befriedigung hätten durch ihr Zusammensein und erquickt sichh zu ihren Geschäften wenden und, was sonst zum Leben gehört, besorgen könnten. Von so langem her also ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren, um die ursprüngliche Natur wiederherzustellen, und versucht aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen.

16. Eros als Geleiter und Rückführer in die alte Natur ist Urheber des größten Gutes

Also sucht nun immer jedes sein anderes Stück. Welche Männer nun von einem solchen Gemeinschaftlichen ein Schnitt sind, was damals Mannweib hieß, die sind weiberliebend, und die meistenn Ehebrecher gehören zu diesem Geschlecht, und so auch, welche Weiber männerliebend sind und ehebrecherisch, die kommen aus diesem Geschlecht. Welche Weiber aber Abschnitte eines Weibes sind, die kümmern sich nicht viel um Männer, sondern sind mehr den Weibern zugewendet, und die Tribaden kommen aus diesem Geschlecht; die aber Schnitte eines Mannes sind, suchen das Männliche auf, und solange sie noch Knaben sind, lieben sie als Schnittstücke des Mannes die Männer, und bei Männern zu liegen und sich mit ihnen zu umschlingen ergötzt sie, und dies sind die trefflichsten unter den Knaben und heranwachsenden Jünglingen, weil sie die männlichsten sind von Natur. Einige nun nennen sie zwar schamlos, aber mit Unrecht. Denn nicht aus Schamlosigkeit tun sie dies, sondern weil sie mit Mut und Kühnheit das ihnen Ähnliche lieben. Davon ist ein großer Beweis, daß, wenn sie vollkommen ausgebildet sind, solche Männer vorzüglich für die Angelegenheiten des Staates gedeihen. Sind sie aber mannbar geworden, so werden sie Knabenliebe haben; zur Ehe aber und zur Kinderzeugung haben sie von Natur keine Lust, sondern nur durch das Gesetz werden sie dazu genötigt, ihnen selbst wäre es genug, untereinander zu leben unverehelicht. Auf alle Weise also wird ein solcher Knabenliebhaber und ein Liebhaberfreund, indem er immer dem Verwandten anhängt. Wenn aber einmal einer seine wahre eigne Hälfte antrifft, ein Knabenfreund oder jede andere, dann werden sie wunderbar entzückt zu freundschaftlichster Einigung und Liebe und wollen sozusagen auch nicht die kleinste Zeit voneinander lassen; und die ihr ganzes Leben miteinander verbunden bleiben, diese sind es, welche auch nicht einmal zu sagen wüßten, was sie voneinander wollen. Denn dies kann doch wohl nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses sein, daß um deswillen jeder mit so großem Eifer trachtete, mit dem anderen zusammen zu sein; sondern offenbar ist, daß die Seele beider, etwas anderes wollend, was sie aber nicht aussprechen kann, es nur andeutet und zu raten gibt. Und wenn, indem sie zusammenliegen, Hephaistos vor sie hinträte, seine Werkzeuge in der Hand, und sie fragte: was ist es denn eigentlich, was ihr wollt, ihr Leute, von einander, und wenn sie dann nicht zu antworten wüßten, sie weiter fragte: Begehrt ihr etwa dieses, soviel als möglich zusammenzusein, daß ihr euch Tag und nacht nicht verlassen dürftet? Denn wenn das euer Begehren ist: so will ich euch zusammenschmelzen und in eins zusammenschweißen, so daß ihr statt zweier einer seid und; so lange ihr lebt, beide zusammen als einer lebt, und wenn ihr gestorben seid, auch dort in der Unterwelt nicht zwei, sondern gemeinsam gestorben ein Toter seid. Also sehr zu, ob ihr dies liebt und zufrieden sein werdet, wenn ihr es erreicht. Dies hörend, das wissenwir gewiß, würde auch nicht einer sich weigern oder zu erkennen geben, daß er etwas anderes wollte, sondern würde eben das gehört zu haben glauben, wonach er schon immer strebte, durch Nahesein und Verschmelzen mit dem Geliebten aus zweien einer zu werden. Hiervon ist nun dies die Ursache, daß unsere ursprüngliche Beschaffenheit diese war und wir ganz waren, und die Verlangen eben und Trachten nach dem Ganzen heißt Liebe. Und vor diesem, wie gesagt, waren wir eins, jetzt aber sind wir der Ungerechtigkeit wegen von dem Gott auseinandergelegt und verteilt worden wie die Arkadier von den Lakedaimoniern. Es steht also zu besorgen, wenn wir uns nicht sittsam betragen gegen die Götter, daß wir noch einmal zerspalten werden und so herumgehen müssen wie die auf den Grabsteinen Ausgeschnittenen, die Mitte durch die Nase gespalten sind, und das wir dann werden wie die geteilten Würfel, von denen die andere Hälfte der andere hat. Aber aus dieser Ursache sollte nun jeder Mann jedem zureden, den Göttern Ehrfurcht zu beweisen, damit wir diesem entgehen, jenes aber erlangen, wozu Eros uns führt und befehligt. Dem wolle nun ja niemand entgegenhandeln; es handelt dem aber entgegen, wer sich den Göttern verhaßt macht. Denn sind wir diesen befreundet und mit dem Gotte in gutem Vernehmen: so werden wir jeder uunsern eigenen Liebling finden und besitzen, was jetzt nur wenigen begegnet. Und Eryximachos lege es mir nicht, um meine Rede auf Spott zu ziehen, so aus, als meinte ich den Pausanias und Agathon. Denn vielleicht gehören auch sie zu diesen und sind beide von Natur männliche. Sondern ich meine es von allen insgesamt, Männern uund Frauen, daß so unser Geschlecht glückselig würde, wenn es uns in der Liebe gelänge und jeder seinen eigentümlichen Liebing gewönne, um so zur ursprünglichen Natur zurückzukehren. Wenn nun diese das beste ist: so wird notwendig unter dem uns jetzt zu Gebote Stehenden das beste sein, was jenem am nächsten kommt, und das heißt einen Liebling zu finden, der jedem nach seinem Sinne geartet ist. Und wollen wir dafür den Gott, von dem es uns herkommt, besingen, so müssen wir allerdings den Eros besingen, der uns jetzt schon so viel Gutes erzeigt, indem er uns zu dem Verwandten hinführt, für die Zukunft aber uns die größte Hoffnung gibt, uns, wenn wir nur vor Ehrfurcht den Göttern beweisen, zur ursprünglichen Natur herstellend und heilend, glücklich und selig zu machen.